Kapitel 4: Ein Versprechen wird gegeben
Etwa gegen vier Uhr morgens näherte sich Duncan dem Dorf von Glenmhor.
Schon aus der Ferne konnte er erkennen, dass dort unten im Tal etwas ganz und gar nicht in Ordnung war, denn die schwelenden Überreste eines großen Feuers waren noch immer weithin erkennbar. Frauen, Männer und auch Kinder standen vor den Ruinen ihrer Hütten und waren bemüht, Ordnung in das vorherrschende Chaos zu bringen.
Bei diesem Anblick gefror ihm das Blut in den Adern und er spornte sein Pferd an, um so schnell wie möglich zum Haus der Macleans zu gelangen, welches sich etwa eine Meile außerhalb des Dorfes entfernt auf einem Hügel gelegen befand.
Er fragte sich, was hier während ihrer Abwesenheit geschehen sein mochte.
Hatte es hier einen Großbrand gegeben, bei dem das Feuer von einer Kate zu anderen übergesprungen war? Oder gab es einen anderen Grund dafür? Antworten auf seine Fragen, würde er mit großer Sicherheit in Maclean-Haus erhalten. Es galt daher, so schnell wie möglich dorthin zu gelangen. Was Duncan dann auch tat, in dem der Bounce, seinem Rappen, ein vorerst letztes Mal in die Flanken trat.
******
Kaum, dass er dort angehalten hatte und vom Pferd gestiegen war, kam ihm auch schon eine völlig aufgelöste Fiona entgegen, deren Augen pures Entsetzen ausdrückten.
„Fiona! Was ist hier geschehen?“
„Duncan! Wie gut das Ihr seid? Wo sind Vater, Kyle und die anderen Männer, die mit euch ritten?“
„Euer Vater und Kyle kommen erst in ein bis zwei Wochen zurück. Sie wollten noch etwas Wichtiges mit dem Farquharson besprechen und außerdem das freundschaftliche Band, das zwischen den beiden Clans besteht, festigen.
Kyle hat mich gebeten, hier bei Euch in Glenmhor vorbeizuschauen, bevor ich nach England weiterreise. Und nun redet endlich. Was ist passiert?“
„Vor etwa zwei Stunden wurden wir überfallen. Die Engländer waren hier. Sie haben das halbe Dorf niedergebrannt und dann sind sie sogar in unser Haus gekommen.
Mutter sagte mir, dass ich mich – zusammen mit Mary und Brian – in den oberen Räumen versteckt halten solle, bis alles vorbei ist. Doch ich konnte und wollte sie nicht allein lassen. Ich habe Brian deshalb gebeten, mir einige seiner Sachen zu geben. Anschließend habe ich mich als Junge verkleidet in der Nähe des Treppenaufganges versteckt. Als dann dieser englische Captain Mutter geschlagen hat, konnte ich nicht mehr an mir halten und bin auf ihn losgegangen. Mit dem kleinen Dolch, den ich immer bei mir trage, habe ich ihm eine Wunde an der Hand zugefügt. Daraufhin hat er mich durch einen seiner Männer im Esszimmer einsperren lassen. Die weiteren Vorkommnisse konnte ich dann nur noch akustisch wahrnehmen. Aber durch Mutters Schreie habe ich genau mitbekommen, was da in der Halle passierte. Dieses Dreckschwein hat sie einfach vergewaltigt!" schrie Fiona.
"Zum wiederholten Male bedauerte ich es, nicht als Mann zur Welt gekommen zu sein, Sonst hätte ich von diesem englischen Mistkerl Satisfaktion gefordert."
"Fiona! So beruhigt Euch doch erst einmal." sagte Duncan.
"Beruhigen. Ich soll mich beruhigen! Wie könnt Ihr in einem solchen Moment nur von Ruhe sprechen. Meine Mutter liegt dort drinnen, über und über mit Blutergüssen und anderen Wunden übersät. Versteht ihr ? Ich konnte zwar nur hören, was sich jenseits der Tür abspielte, aber ebenso eindeutig waren die Geräusche, welche die Tür durchdrangen. Ich mag zwar noch jung an Jahren sein, aber dennoch bin ich nicht so unwissend, wie ihr denkt.
Bitte Duncan, Ihr müsst uns helfen. Ich weiß nicht mehr was ich noch tun soll.
Einen Arzt konnte ich bisher nicht holen, da ich alle Hände voll damit zu tun hatte, die Leute des Dorfes und auch meine beiden jüngeren Geschwister zu beruhigen.
Zusammen mit Mrs. Wilkes, der Haushälterin, ist er mir gelungen, Mutter aus der Eingangshalle in einen der unteren Aufenthaltsräume zu bringen. Dort ist sie noch immer. Duncan, Ihr solltet sie sehen, sie sieht ganz furchtbar aus mit all den Verletzungen, die dieser englische Mistkerl ihr beigebracht hat. Oh wären nur Vater oder Kyle hier gewesen. Sie hätten sicher gewusst, was zutun ist." Fiona seuftze.
Duncan konnte sehr gut nachvollziehen, wie sie sich die junge Frau, die direkt vor ihm stand und der Verzweiflung nahe war, fühlte.
Sie hatte mit ansehen müssen, wie ihre Mutter den englischen Dragonern ganz allein gegenübertreten war und mit ihnen fertig zu werden versuchte. Nur in ihrer Verkleidung als Junge war es ihr überhaupt möglich gewesen, sich in das Geschehen einzumischen und einem der Soldaten, durch einen Dolchstoss eine Wunde zuzufügen. Über das, was danach passiert war, wollte Duncan gar nicht weiter nachdenken. Warum nur war er nicht früher zurückgekehrt? Dann hätte möglicherweise Schlimmeres verhindert werden können. Zum jetzigen Zeitpunkt war es allerdings mehr als müßig noch darüber zu spekulieren, was gewesen wäre, wenn er eher in Glenmhor eingetroffen wäre.
Duncan blickte Fiona an und bemerkte, dass sie momentan völlig teilnahmslos vor ihm stand. 'Sie steht unter Schock.' dachte er. Ein enormer seelischer Druck hatte auf ihren zarten Schultern gelastet. Doch nun, da sie ihm alles erzählt hatte, war ihre bis dato aufrechterhaltene Fassade wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen. Wahrscheinlich war ihre Wut auf die Engländer der ausschlaggebende Grund dafür gewesen, warum sie bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht vollends zusammen gebrochen war. Da diese nunmehr verraucht war, war das passiert was Duncan schon oft in seinem Leben hatte mit ansehen müssen: Die ihr aufgebürdete Last war zu groß geworden und ein Art Schockzustand war eingetreten. Duncan, der diese Art von Schockverhalten schon früher hatte beobachten können, wusste, dass sogar ausgewachsene Männer unter ähnlichen Bedingungen verzweifelt waren.
In den letzten Stunden war einfach zu viel auf Fiona eingestürmt.
Duncan konnte den tiefen Schmerz in ihren veilchenblauen Augen sehen, und auch die Tränen, die nun unaufhaltsam ihre Wangen herunter rannen.
Er fühlte unbändigen Zorn ins sich aufsteigen. Es war so, als ob eine riesige Welle ihn zu überschwemmen drohte. Mühsam rang er um Selbstbeherrschung. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt um derartige Gefühle zuzulassen. Wenn er Fiona, Catherine und den anderen helfen wollte, musste er das Notwendige und Nahliegende tun.
Weil er es einfach nicht mehr ertragen konnte, sie so zu sehen, tat er das Erste was ihm in den Sinn kam. Er nahm Fiona ganz einfach in seine Arme und redete beruhigend auf sie ein.
Fionas Kopf ruhte an seiner Schulter, daher bemerkte er wenig später, dass ihre Tränenflut langsam zum Stillstand zu kommen schien. Er umfasste ihr Kinn und animierte sie durch diese Geste, ihren Kopf anzuheben und ihn anzuschauen. In diesem Moment waren ihre Augen zu schmalen Schlitzen zusammengezogen, aus den noch vereinzelt eine Träne kullerte.
Duncan reichte ihr ein Taschentuch, welches er aus der rechten Tasche seine Mantels zog und gab es Fiona. Diese benutzte es dazu, um die Spuren ihres Tränenausbruches zu beseitigen.
„Geht es wieder, Fiona?“ fragte Duncan.
„Ich denke schon. Verzeih bitte mein Benehmen.“
„Da gibt es nicht zu verzeihen. Du hast dich sehr tapfer verhalten.“
Unbemerkt waren beiden zum Du übergangen.
„Und deiner Tränen brauchst du dich ebenfalls nicht zu schämen. Ich habe Männer kennengerlernt, die schon aus wesentlich geringeren Gründen an den Anspannungen zerbrochen sind. Es war ganz einfach zu viel für dich.“
„Was sollen wir machen , Duncan?“
„Zuallererst bringst du mich jetzt zu deiner Mutter. Und dann will ich sehen, was ich tun kann, damit hier alles wieder in Ordnung kommt.“
„Wolltest du nicht nach England?“ fragte Fiona.
„Dies kann und muss warten. Ihr braucht mich hier. Meine Reise kann ich gut und gerne noch einige Tage aufschieben. Wichtiger ist es jetzt, dass ihr nicht ganz ohne Schutz seid. Ich würde nicht unbedingt darauf wetten wollen, dass es der letzte Besuch der Engländer war. Was würde passieren, wenn sie zurückkommen? So ist zumindest ein Mann im Haus, der euch vor weiteren Übergriffen schützen kann. Und nun komm, Fiona, bring mich zu Catherine.“
„Hier entlang, Duncan.“
Sie brachte ihn zu einem Raum, der sich am anderen Ende der Eingangshalle befand und öffnete die Tür…
******
Was Duncan dort zu sehen bekam, schockierte ihn zutiefst.
Auf einer Chaiselounge, welche in der Nähe des Kamins stand, lag Catherine Maclean, die Hände an ihren Körper gepresst. Auf ihrem leichenblassem Gesicht waren noch die Spuren der ihr zugefügten Misshandlungen zu erkennen. Duncan bezweifelte sehr stark, dass es sich dabei um die einzigen Male an Catherines Körper handelte.
Duncan ging langsam auf das Chaiselounge zu und blickte auf sie herab.
Fast zaghaft griff er nach ihrem Arm und drehte sie vorsichtig auf den Rücken.
Er schnappte unvermittelt nach Luft. Vollkommen fassungslos starrte er ihr Gesicht an. Was hatte ihr dieser Engländer nur angetan?
In diesem Moment erwachte Catherine.
„Guten Morgen, Catherine. Wie geht es Euch im Moment?“ fragte er.
„Guten Morgen, Duncan. Ich fühlte mich schon mal besser. Das könnt ihr mir glauben. Mir tut jeder einzelne Knochen im Leibe weh und mir ist unwahrscheinlich kalt.“
Duncan nahm ein Fläschchen, dass auf einer Konsole an der Wand stand, öffnete es, roch daran und wandte sich zu Catherine um. „Ist das Laudanum?“
Sie nickte zustimmend.
„Warum habt ihr nicht davon genommen? So wären die Schmerzen zumindest ein wenig leichter für Euch zu ertragen.“
Bevor er es wieder verschloss, bat er Fiona um einen Becher mit Wasser. Dieses Wasser mischte er mit einigen Tropfen des Gebräus. Den Becher reicht er anschließend an Catherine weiter, damit diese ihn austrank.
„Ihr werdet das hier jetzt trinken. Keine Widerrede. Und dann werden Eure Tochter und ich versuchen, es euch etwas bequemer zu machen, sofern das unter diesen Umständen überhaupt möglich ist. Es wird ganz sicher wehtun, wenn ich euch jetzt anhebe und anschließend trage. Aber mit diesen Verletzungen gehört ihr in ein Bett, und in jedem Fall muss sich ein Doktor die Sache anschauen.“
„Keinen Doktor, Duncan, bitte.“ flehend blickte Catherine ihn an.
„Diese Bitte muss ich Euch leider abschlagen, Mistress. Mich dünkt, dass ihr möglicherweise innere Verletzungen davon getragen habt, deshalb werde ich im Laufe des Tages nach einem Arzt schicken lassen. Und nun Ende der Debatte.“
„Fiona.“ sagte er beschwörend und griff nach ihrer Hand, die eiskalt war und immer noch ein wenig zitterte. „Ich möchte dich jetzt bitten, mir zu helfen. Wirst du das tun?“
„Aber sicher, Duncan. Was soll ich machen?“
„Zunächst öffnest du mir die Tür und zeigst mir bitte den Weg zum Gemach deiner Eltern. Ich werde deine Mutter dort hinbringen.“
„Komm mit. Der Raum befindet sich im Obergeschoss des Hauses.“ meinte sie, drehte sich um und lief vornweg, um ihm den Weg zu zeigen.
‚Sie ist leicht wie eine Feder’ dachte Duncan, der sichtlich darum bemüht war, Catherine beim Transport in die obere Etage so wenig Schmerzen wie möglich zuzufügen.
„Es tut mir leid, Catherine“ sagte er, als sie zwischendurch von Schmerzen gepeinigt leise aufschrie. „Wenn ich es könnte, würde ich euch die Schmerzen gern ersparen. Wir haben es gleich geschafft und dann könnt ihr erst einmal ruhen.“
Doch diese Worte vernahm Catherine Maclean schon nicht mehr, da sie zwischenzeitlich bewusstlos geworden und ihr Kopf gegen Duncans Schulter gesunken war.
Im Schlafgemach der Macleans angekommen. legte er sie ganz vorsichtig, auf das von Fiona vorbereitete Bett.
„Entkleide deine Mutter jetzt bitte, Fiona.“
So sanft wie sie konnte, entfernte Fiona die restliche Kleidung, obwohl man bei den verbliebenen Stofffetzen von einer solchen eigentlich nicht mehr reden konnte. Zudem zog sie ihrer Mutter auch noch Schuhe und Strümpfe aus, und schnitt die Reste des Unterkleides mit ihrem Dolch entzwei. Der Anblick der sich ihr daraufhin bot, ließ sie die Luft anhalten. Von den Schultern bis zum Bauch schillerte Catherines Körper in allen Schattierungen der Farben grün und blau.
„Mein Gott!“ entfuhr es Fiona, die die Blöße ihrer Mutter nun mit einem Plaid bedeckte.
„Duncan, schau dir das an.“
Dieser trat an Fionas Seite und blickte genauso entsetzt drein.
Der englische Soldat musste sehr oft und völlig gnadenlos zugeschlagen haben, bevor er sich dann auch noch an Catherine Maclean vergangen hatte. Die Spuren von blauen Flecken und Blutergüssen oberhalb ihres Brustansatzes sagten ihm genug. Duncan konnte sich gut vorstellen, wie der Rest von Catherines Körper aussehen musste.
Allmächtiger! Dieser Mann war ein Schwein sondergleichen.
Behutsam berührte Duncan mit den Fingerspitzen eine Verletzung, die sich direkt unter dem rechten Schulterblatt befand.
Daraufhin stöhnte Catherine leise auf und warf den Arm hoch, um ihn dann aber sofort wieder sinken zu lassen. Scheinbar war der Schmerz so stark, dass er sogar ihre Bewusstlosigkeit durchdrang.
Duncan richtete sich auf und blickte Fiona an, deren Augen wiederum mit Tränen gefüllt waren.
„Duncan,“ flüsterte Fiona mit brüchiger Stimme, „sie fühlt sich immer noch so schrecklich kalt an.“
Duncan kramte in einer Truhe herum, die sich an der Wand gegenüber des großes Vierpfostenbettes befand, und förderte ein Schaffell zu Tage.
„Nimm das und wickele sie darin ein. Dann breitetest du noch zusätzlich die Decken über sie. Wir müssen versuchen, deine Mutter so warm wie möglich zu halten.
Währenddessen er das sagte, drehte er sich um, ergriff Fionas Hand und ging mir ihr aus dem Zimmer.
„Fiona“ sagte Duncan besorgt, „auch du solltest so schnell wie möglich ins Bett gehen.“
In der Tat fühlte sich Fiona unsagbar müde. Nach den schrecklichen Erlebnissen dieser Nacht schien sie überhaupt keinen Mut mehr zu haben. Sie bezweifelte sehr stark, dass sie noch genügend Kraft aufbringen könnte, um den Weg in ihre Kammer zu finden.
Als aufmerksamen Beobachter war Duncan ihre Mattigkeit natürlich nicht entgangen. Ohne weitere Umschweife nahm er sie daher in seine starken Arme und trug sie die Treppe hinunter, um sie dort behutsam in ihrem Schlafgemach abzusetzen.
Fiona wischte sich mit dem Handrücken eine Träne ab und atmete mehrmals tief durch. Mit leicht zitternder Stimme wollte sie dann wissen: „Was soll ich jetzt nur tun?“
„Du wirst erst einmal gar nichts weiter tun, meine Liebe.“ erwiderte Duncan in sanftem Ton.
„Außer das du mir langsam einmal anfangen könntest zu vertrauen.“
„Ich werde jetzt ins Dorf reiten und den Einwohnern bei der Beseitigung der Schäden helfen, die durch den Überfall der Engländer entstanden sind. Dann komme ich hierher zurück und bringe den Doktor mit. Ruhe dich ein wenig aus, Fiona, und schau ab und an nach deiner Mutter. Die nächsten Tage werden anstrengend genug werden. Versuche wenigstens etwas Schlaf zu finden.“ sagte er und ging dann die Außentreppe des Hauses hinunter, um zu den Ställen zu gelangen.
******
Da sein Pferd von der langen und anstrengenden Reise aus Bhealaich erschöpft war, wählte sich Duncan aus den Stallungen der Macleans ein anderes, auf welchem er dann umgehend nach Glenmhor ritt.
Am Eingang des Dorfes machte er an einer Hütte halt und erkannte auf den ersten Blick, welch ein Chaos die englischen Dragoner hinterlassen hatten. Da hatte jemand wirklich ganze Arbeit geleistet.
Neben den teilweise durch das Feuer stark in Mitleidenschaft gezogenen Katen, waren - wohin man schaute - zertrümmerte Möbel, Tassen, Teller und Kleidung zu erkennen. Überall sah man ruß geschwärzte Menschen, die versuchten, in dem Wirrwarr aus verkohlten Holzbalken und willkürlich durcheinander gewürfeltem Hausrat, Sachen herauszufischen, die den Übergriff der Soldaten überstanden hatten. Wenigstens gab es keine Todesopfer zu beklagen. Dies war ein Trost, wenn auch nur ein geringer.
Mehrere Männer waren gerade dabei , die völlig verkohlten Dachbalken einer Hütte zu entfernen. Zu ihnen gesellte sich Duncan und packte mit an. Ohne weitere Worte wurde seine Hilfe akzeptiert.
Stundenlang arbeiteten die Männer Seite an Seite. Als sich die ersten Sonnenstrahlen eines neuen Tages ankündigten, waren die Aufräumungsarbeiten zumindest soweit fortgeschritten, dass man in den Häusern wieder Zuflucht suchen konnte. Um alles andere, so auch die Instandsetzung der Dächer, würde man sich im Laufe des Tages kümmern.
******
Die Arbeiten sollten gegen Mittag fortgesetzt werden. Duncan hatte aus diesem Grund eine Pause angeordnet. Schließlich konnte die Bewohner des Dorfes nicht ununterbrochen arbeiten. Die Männer, die genau wie er, schon die ganze Nacht im Einsatz gewesen waren und in den letzten Stunden unermüdlich gearbeitet hatten, waren froh, das jemand die Entscheidungsgewalt in die Hände genommen hatte. Sie wollten endlich – wenn auch nur kurz – nach ihren Familien sehen, die sich in der am Ende des Dorfes befindlichen Kirche zusammengefunden hatten. Zudem hatte einige die Absicht, die Pause für ein kleines Nickerchen zu nutzen, bevor es dann am frühen Nachmittag mit dem Beräumungsarbeiten weiter gehen sollte.
Kenneth MacAllister, einer der Männer, mit denen Duncan mehrere Stunden zusammen gearbeitet hatte, meinte zu ihm: „Wisst ihr Duncan, die Menschen hier sind euch zutiefst dankbar. Als Außenstehender hättet ihr eigentlich nicht mit anpacken müssen, dennoch habt ihr es getan. Jedem anderen wäre unser Schicksal egal gewesen, doch ihr habt ohne zu zögern geholfen. Könnt ihr mir sagen, was Euch dazu bewogen hat?“
„Ganz einfach, Kenneth. Ich weiß selbst am Besten, wie es ist, wenn man Hab und Gut verliert und gezwungen ist, alles was einem Lieb und Teuer ist, zurück zulassen. Das wollte ich den Menschen von Glenmhor ganz einfach ersparen. Wir werden es mit vereinten Kräften schaffen, Glenmhor Village wieder in altem Glanz erstrahlen zu lassen, Vertraut mir.“
„Das tuen alle hier.“
„Geht jetzt erst einmal zu Eurer Frau und den Kindern, stärkt Euch ein wenig und versucht ein wenig zu schlafen, bevor es nachher mit den Arbeiten weitergeht.“
„Was werdet ihr in der Zwischenzeit tun?“
„Ich werde den Doktor holen. In Maclean-Haus hat es ebenfalls einen Überfall gegeben. Es wurde jemand verletzt. Könnt ihr mir vielleicht sagen, wo ich den hiesigen Arzt finden kann?“
„Sein Haus befindet sich etwa drei Meilen von hier entfernt. Reitet geradewegs aus dem Tal hinaus und nehmt dann an der Weggabelung den rechten Weg, so könnt ihr das Haus nicht verfehlen.“
„Ich danke Euch vielmals für die Auskunft, Kenneth.“ sagte Duncan. „Wir sehen uns dann später.“
„Gestattet Ihr mir eine Frage?“
„Aber sicher. Was wollt ihr wissen?“
„Wer wurde im Haus verletzt? Einer der Bediensteten?“
„Nein, Kenneth, die Frau Eures Lairds.“
„Was?“ rief dieser erschrocken aus.
„So ist es leider. Ich möchte dazu erst einmal nichts weiter sagen, und bitte Euch ebenfalls, Stillschweigen darüber zu bewahren. Wenn Lady Maclean der Meinung ist, es den Einwohnern von Glenmhor sagen zu wollen, wird sie es tun. Und nun werde ich mich auf den Weg machen. Gehabt Euch wohl, Kenneth. Und denkt daran, lasst kein Wort über diese Angelegenheit verlauten. Ich hoffe, ich kann mich auf Euch verlassen.“
„Das könnt ihr. Duncan. Meine Lippen sind versiegelt. Entrichtet den beiden Damen meinen Gruß. Bis später.“
Die letzten Worte hatte Duncan schon nicht mehr vernommen, da er in Windeseile in den angrenzenden Wald ritt, um den Doktor aufzusuchen und anschließend zum Haus der Macleans zu bringen.
******
Fiona hatte ihn und den Doktor bereits erwartet und führte diesen nach seinem Eintreffen umgehend zu Catherine, die noch immer bewusstlos in ihrem Schlafgemach lag.
Nachdem er die Untersuchung beendet hatte, gesellte er sich zu den beiden Wartenden, die sich draußen vor der Tür auf dem Flur befanden und gespannt auf Diagnose des Arztes warteten.
Was ist mit meiner Mutter, Doktor?“ wurde er kaum nach Verlassen des Zimmers von Fiona gefragt.
„Fiona“ , sagte Mac „lass sich den guten Doktor doch erst einmal in Ruhe säubern, bevor du ihn mit weiteren Fragen bombardierst.“
Obwohl Fiona vollkommen nervös war, tat sie, wie Duncan ihr geheißen und fasste sich in Geduld.
„Dort hinten ist eine kleine Kammer. Es gibt dort eine Waschschüssel, Seife und Tücher. Sobald ihr fertig seid, erwarten wir Euch unten im Salon.“ sagte sie und ging zusammen mit Duncan die Treppe hinunter.
Wenig später erschien dann auch der Arzt. Fiona bot ihm einen Platz an und wartete nunmehr darauf, dass er endlich anfangen würde zu reden.
„Eure Mutter, Miss Maclean hat durch die Mißhandlung starke Prellungen sowie unzählige Blutergüsse und Schnittwunden davon getragen. Zum Glück ist aber nichts gebrochen. Allerdings hat sie durch die Vergewaltigung – wie Mr. MacLeod schon richtig vermutet hatte – innere Verletzungen davon getragen. Durch die Brutalität mit der der Soldat vorgegangen ist, ist es im Unterleibsbereich zu Verletzungen gekommen, die zu einer Blutung geführt haben. Diese müsste eigentlich in den nächsten Stunden zum Stillstand kommen. Gebt ihr beim Erwachen Laudanun gegen die Schmerzen und kühlt die Prellungen. Das ist alles, was ich Euch momentan empfehlen kann. Alle anderen Wunden kann nur die Zeit heilen.“ meinte er.
„Wir danken Ihnen, Doktor.“ äußerte sich Mac ehe Fiona dies tun konnte und reichte dem Arzt die Hand, um sich zu verabschieden.
„Eine gute Heimreise, wünsche ich.“ Er geleitete den Arzt zur Tür, ließ ihn hinaus und kehrte dann zu Fiona zurück, die wie zu einer Salzsäule erstarrt im Salon stand. Doch ebenso wie sie diese Lethargie überfallen hatte, war sie dann auch auch vorbei.
„Ich könnte dieses englische Dreckschwein dafür mit meinen bloßen Händen umbringen. Was hat er nur getan? Nicht genug, dass wir Schotten von den Engländern seit jeher geknechtet werden, nein, sie müssen sich auch noch an uns vergreifen.“ tobte Fiona und rannte im Zimmer hin und her.
„Du hast Recht, Fiona. Eine solch schändliche Tat darf einfach nicht ungesühnt bleiben. Ich verspreche dir, mich um die Sache zu kümmern. Vertraust du mir?“
"Ja, das tue ich... uneingeschränkt.“ antwortete Fiona nach einem kurzen Moment des Zögerns.
„Dann höre auf das, was ich dir jetzt sage. Ich werde diesen englischen Captain finden und für all das zur Verantwortung ziehen, was er in der vergangenen Nacht getan hat. Das schwöre ich. Und du solltest wissen, dass ich ein gegebenes Versprechen immer halte.“
„Ich glaube dir, Duncan, und bin dir aus ganzem Herzen dankbar“
Fiona ging auf ihn zu und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Eine freundschaftliche Geste – mehr nicht.
„Du hast schon so viel für uns getan in den letzten Stunden. Der Clan der Macleans wird immer in deiner Schuld stehen.“
„Nicht doch, Fiona. Sag so etwas nicht. Es gibt keine Schuld, die ihr wieder gut zu machen hättet. Kyle ist mein Freund, und dasselbe trifft auf seine Familie zu. Freunde helfen einander. Deshalb erzähle mir bitte nichts über irgendwelche Wiedergutmachungen. Die gibt es nicht. Was ist ich getan habe, tat ich gern. Und nun Ende der Diskussion. Wir sollten jetzt nach Catherine schauen.“
Noch bevor Fiona etwas äußern konnte, ergriff er ihre Hand und schob sie sanft in Richtung der Tür. Gemeinsam gingen sie in das Obergeschoss des Hauses, um nach Catherine Maclean zu schauen. Ehe sie jedoch einen Fuß in deren Gemach setzen konnten, kamen aus dem ebenfalls auf dem Gang befindlichen Kinderzimmer Brian und Mary angelaufen, wobei der junge Brian seine kleine Schwester in den Armen hielt.
„Fiona“, sagte er „Was ist mit Mutter?“
„Sie wird wieder gesund werden. Wenn ihr wollt, dürft ihr sie nachher besuchen. Jetzt gehen wir aber erst einmal in die Küche und schauen, was Mrs. Phelps und Mrs. Wilkes an Speisen zurecht gezaubert haben, ja? Kommt ihr beiden.“
Fiona blickte in Duncans Richtung. Die stumme Botschaft, die sie ihm zu übermitteln versuchte, verstand er dann auch sofort.
„Ich werde nach Catherine sehen.“ sagte er, drehte Fiona und den beiden Kindern den Rücken zu und betätigte den Türknauf, um das Schlafgemach zu betreten.
© Norina Becker (Oktober 2008)

|