Kapitel 3: Überfall
Glenmhor Village in derselben Nacht
Sie kamen spät in der Nacht, als der überwiegende Teil der Bewohner des Dorfes bereits schlief. Das Geräusch der auf dem gefrorenen Boden aufschlagenden Pferdehufe klang wie Donnerschläge durch den Ort und den angrenzenden Wald.
Fiona Maclean verlagerte das Gewicht ihrer kleinen Schwester Mary, welche kurz vorher aus einem unruhigem Schlaf aufgeschreckt war und zu weinen angefangen hatte auf ihren anderen Arm und blickte aus dem Fenster.
Vater und seine Begleiter kehrten scheinbar früher als erwartet von ihrem Treffen aus Bhealaich zurück.
Fiona drückte ihr Gesicht gegen die Fensterscheibe um nach den Zurückkehrenden Ausschau zu halten. Die kleine Mary, gerade etwas mehr als drei Jahre alt und damit das Nesthäckchen der Familie, begann erneut leise vor sich hinzuwimmern, woraufhin Fiona zu ihr sagte: „Nun sei doch still. Dein Geweine muss ja nun nicht unbedingt das erste sein, was Vater hört, wenn er nach Hause kommt.“
Etwas beunruhigt sah Fiona in Richtung der Tür. Eigentlich sah draußen alles so aus wie immer. Aber dennoch…irgendwas störte sie heute. Klopfenden Herzens nahm sie eine Stola und legte diese ihrer kleinen Schwester um, bevor sie die Eingangstür des Hauses öffnete und vorsichtig hinausspähte.
Wie es schien, herrschte absolute Windstille, und abgesehen von dem Getöse, dass die Hufe der sich nähernden Pferde hinterließen, war kein weiterer Laut zu vernehmen. Jeden Moment müssten eigentlich ihr Vater, Kyle, Duncan und die anderen auf dem rechts von hier befindlichen Hügel auszumachen sein.
Zunächst geschah nichts. Doch plötzlich und ohne weitere Vorankündigung waren mit einem Mal die Schreie der Dorfbewohner zu hören.„Fiona. Komm schnell herein.“ rief Catherine Maclean. Sie eilte die Treppe hinunter und strich sich dabei eine Strähne ihres rötlichen schimmernden Haares aus dem Gesicht.
„Nun beeile dich doch.“ sagte sie noch bevor sie den Arm ihrer Tochter umfasste und diese in das Haus hineinzog.
„Du tust jetzt, was ich dir sage. Geh mit der Kleinen nach oben zu Brian und schließt euch im Kinderzimmer ein.“
„Aber Vater und die anderen kehren doch zurück.“
„Es ist nicht dein Vater. Und nun tue endlich, was dir gesagt wird, Los! Geh nach oben.“
„Woher weißt du das es nicht Vater ist?“ fragte Fiona.„Wäre es dein Vater hätten die Dorfbewohner nicht vor lauter Angst aufgeschrien.“
Fiona schaute zuerst ihre Mutter an und anschließend aus dem Fenster. Und jetzt sah auch sie, was ihre Mutter bereits bei dem Blick aus einem der oberen Zimmer bemerkt hatte: Auf dem Hügel erschienen Reiter. Fiona erkannte auf den ersten Blick, um wen es sich bei diesen handelte. Es waren englische Soldaten, um genau zu sein Dragoner. Ihre tiefroten Jacken verrieten sie sogleich als das, was sie waren: Plünderer und Brandschatzer. Sie war zwar erst achtzehn Jahre alt, doch kannte sie die Schreckensgeschichten zu Genüge, die sich um die als Rotröcke titulierten englischen Soldaten rankten.
„Was wollen sie nur von uns, Mutter? Wir haben ihnen doch nie in irgendeiner Weise etwas zu Leide getan.“
„Das tut für die Engländer nichts zur Sache. Für sie ist es schon Grund genug, dass wir sind, was wird sind, nämlich Schotten, die sich ihrer Knute nicht einfach so beugen werden.“ Catherine ging zur Tür schloss diese und schob den großen sperrigen Riegel davor, in der irrigen Hoffnung darauf, dass die Soldaten ihre Familie vielleicht in Ruhe ließen.
„Und jetzt geh endlich in die obere Etage, Fiona. Bleib zusammen mit Brian und Mary im Kinderzimmer, und komme nicht eher heraus, als bis ich es dir sage! Hast du verstanden?“
Weitere Schreie aus dem Dorf waren zu hören. Durch das Fenster sah man die strohgedeckten Dächer mehrerer Hütten in Flammen aufgehen. „Ich möchte aber hier bei dir bleiben, Mutter. Vater würde nicht wollen, dass ich dich hier unten alleine lasse.“ erklärte sie.
„Er würde es für richtig befinden, dass du auf das hörst, was ich dir sage.“
Catherine hörte die Pferde vor dem Haus und sagte noch einmal eindringlich: „Geh jetzt endlich nach oben, Fiona und gib auf deine jüngeren Geschwister acht!“
Als die kleine Mary zu weinen anfing, rannte Fiona endlich die Treppe hinauf. Sie hatte gerade die obere letzte Treppenstufe erreicht, als die Tür durch mehrere Männer eingetreten und damit aus ihren Angeln gehoben wurde. Sie drehte sich noch einmal um und musste feststellen, dass ihre Mutter einem guten Dutzend von englischen Dragonern gegenüber stand. Einer – scheinbar der Anführer der Truppe – trat auf Catherine zu und verbeugte sich. Selbst von hier oben konnte man erkennen, dass diese Geste nur als Beleidigung verstanden werden konnte.
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„Fiona!“ rief der dreizehn Jahre alte Brian aus dem hinter ihr befindlichen Zimmer.„Nimm Mary, Brian, und gib mir irgendwelche von deinen Sachen, einschließlich einer Mütze.“ sagte sie und reichte dem Jungen das kleine Mädchen hinüber.
„Geh zurück in das Kinderzimmer, schließe die Tür und verhaltet euch beide ganz still. Verstehst du mich?“
„Ja. Fiona. Ich habe verstanden.“ sagte der Junge und verschwand umgehend in dem angrenzenden Zimmer. Fiona selbst kauerte sich, nachdem sie sich vor Verlassen des Zimmers aus ihrem Kleid geschält hatte, und in Brians Sachen geschlüpft war, oben in eine dunkle Ecke in unmittelbarer Nähe der Treppe hin und beobachtete die Geschehnisse aus sicherer Entfernung. Ihre rotblondes, gelocktes Haar hatte sie unter der Mütze verborgen, so dass sie auf den ersten Blick, als Junge durchgehen würde.
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„Seid ihr Catherine Maclean?“ fragte der Anführer der Gruppe.
„Aye. Ich bin Lady Maclean.“ erwiderte Catherine hocherhobenen Hauptes und mit fester Stimme. Momentan war ihr einziger Gedanke, wie sie diejenigen, die sie liebte, beschützen konnte. Da ein Kampf aussichtslos war, griff sie zu der einzig ihr zu Verfügung stehenden Waffe, ihrem Stolz.
„Was gibt euch das Recht in unser Haus einzufallen?“
„Recht, Mistress? Ich bin ein Offizier unseres Königs George. Das allein dürfte wohl Grund genug sein.“
„Wie ist Euer Name? Ich möchte zumindest wissen, mit wem ich es zu tun habe.“
„Captain Smith, Madam.“ antwortete der englische Dragoner, zog seinen Mantel und seine Handschuhe aus und reichte sie an einen der ihm untergebenen Soldaten weiter. Offensichtlich rechnete Smith mit einer angsterfüllten Reaktion seitens Catherines. Doch die tat ihm den Gefallen nicht und blieb aufrecht vor ihm stehen.
„Veratet mir doch, wo Euer Ehemann ist, Lady Maclean.“
„Mein Gatte und seine Männer sind zur Jagd.“
Smith nickte und schickte fünf von seinen Leuten los, um das Haus zu durchsuchen. Irgendwie glaubte er dieser kleinen zierlichen Frau vor ihm nicht so recht. Es war schon eigenartig, dass sie keinerlei Furcht vor ihm zeigte.
Dieser Schein trog allerdings. Catherine, äußerlich zwar gelassen, zitterte innerlich nur so vor lauter Angst. Doch das würde sie diesem englischen Schweinehund vor sich nie eingestehen, komme was da wolle. Sie wusste, dass sie sehr bedächtig vorgehen musste, wenn sie ihre Familie und den Clan schützen wollte. Der Captain konnte ohne weiteres ihr Heim sowie die Häuser und Katen der hier Ansässigen in Schutt und Asche legen lassen, und das wollte sie wenn möglich verhindern. Natürlich hegte sie keine allzu großen Hoffnungen, dass sie in ihrer Eigenschaft als Ehefrau des Clanchiefs, die Menschen hier schützen könnte.
„Falls es euch entgangen sein sollte, Captain. Hier sind überwiegend nur Frauen und Kinder vorzufinden. Wenn ihr mit meinem Mann sprechen wollt, habt ihr euch hierfür einen sehr ungünstigen Zeitpunkt ausgesucht. Oder ist seine Abwesenheit gerade der Grund, warum ihr und eure Soldaten Glenmhor einen Besuch abstattet?“
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Smith, der mit einer einer solchen Äußerung seitens Catherines nicht gerechnet hatte, schlug sie daraufhin so stark in das Gesicht, dass sie von der geballten Kraft seines Schlages rückwärts taumelte und fast zu Fall kam.
Die Attacke auf ihr Mutter war zuviel für Fiona. Sie rannte, in ihrer Verkleidung als Knabe, die Treppe hinunter und rief: „Mein Vater wird Euch dafür umbringen, Sie englischer Bastard!“
In der Hand einen kleinen Dolch haltend stürzte sie sich auf Smith.
Dieser fluchte laut, als sie ihm die Waffe in den Handrücken stieß. Nach der ersten Verwunderung ob diesen tätlichen Angriffs, schleuderte er Fiona dann einfach zur Seite.
„Dieser verdammte Bengel hat mir den Dolch in die Hand gestoßen.“ sagte er, ballte die nicht in Mitleidenschaft gezogenen recht Hand zur Faust und wollte den vermeintlichen Knaben schlagen.
Doch Catherine verhinderte dies, in dem sie sich zwischen den Soldaten und ihre Tochter stellte. Der für Fiona bestimmte Schlag traf sie, und zwar fast genau wieder an der Stelle, an der sie vorhin bereits schon einmal die Bekanntschaft mit Smith’ Faust geschlossen hatte. Sie musste ihren ganzen Willen aufbringen und die Zähne zusammenbeißen, um den Engländer nicht zu zeigen, wie sie sehr sie die beiden Hiebe doch schmerzten.
„Schlagt ihr immer Frauen und Halbwüchsige? Ist das der Weg wie ihr Schottland regieren wollt?“
Smith blickte sie an und holte tief Luft. Da war doch nicht zu fassen, verhöhnte ihn dieses verflixte Weibsbild ganz offensichtlich. Nun gut, wahrscheinlich war es an der Zeit dieser schottischen Schlampe zu zeigen, wo der Hammer hing. Er konnte und wollte einfach nicht zulassen, dass er von einer Frau und einem Knaben in seine Schranken gewiesen worden war, zudem es sich bei den beiden auch noch um Schotten handelte!
Er rief einen der Soldaten zu sich und sagte: „Bring den Knaben in einen anderen Raum und sperre ihn dort ein. Gib aber gut acht, dass er nicht ausbüxt.“
Ohne ein weiteres Wort schnappte der Dragoner die wild um sich tretende Fiona am linken Arm und zog sie in Richtung des Esszimmers.
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„Könnt ihr mir sagen, Mistress, was ich mit Euch und eurer missratenen Brut machen soll?“ Während Smith dies sagte, verband er seine Hand mit einem Tuch, dass er aus den Taschen seiner Uniformjacke gezogen hatte.„Könnt ihr es dem Jungen verdenken? Er kennt den Anblick einer geschlagenen Frau nicht, da sein Vater mich immer voller Hochachtung und Respekt behandelt hat.“ Catherine warf Smith einen vernichtenden Blick zu.
Seine Hand schmerzte höllisch. Das hatte er diesem Balg, diesem halben Kind zu verdanken, dass mit einem Dolch auf ihn losgegangen war. Aber er würde sich schon Respekt verschaffen und die zierliche Frau vor ihm, schien ihm genau die richtige Person zu sein, um ein Exempel zu statuieren und sich dadurch auch wieder Respekt vor seinen Männer zu verschaffen. Er würde dieses Weibsbild, dass ihm so frech die Stirn geboten hatte, für alles büßen lassen, was ihm in den letzten zehn Minuten widerfahren war.
„Euer Ehemann wird verdächtigt mit den Jakobiten gemeinsame Sache zu machen…“
„Tut mir leid, Captain. Ich kann Euch nicht helfen. Weder ich noch meine Familie haben dazu etwas zu sagen.“
„Ich warne Euch, Catherine Maclean. Sollte sich herausstellen, dass Euer Clan Kontakt mit den Jakobiten hatte, stünde Euer Ehemann als Verräter da. Und ihr meine Liebe wäret dann ohne irgendwelchen Schutz. Ihr wäret dann sozusagen Freiwild.“
„Meinerseits gibt dazu nichts Weiteres zu sagen.“ erwiderte Catherine.
„Das ist aber sehr, sehr schade.“ sagte der Engländer, grinste sie frech an und trat dann auf sie zu. „Jetzt werde ich euch zeigen, was mit solchen Frauen wie Euch passiert.“
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Hinter der Tür des Esszimmers stand Fiona und hämmerte mit ihren Fäusten gegen die Tür bis ihre Fingerknöchel blutig waren. Der Raum lag fast in vollständiger Dunkelheit. Erhellt wurde er lediglich durch das Licht des Mondes und den Feuerschein der brennenden Häuser.
Sie fühlte sich so hilflos. Laut und klar konnte sie das Geschrei aus dem Dorf hören. Doch das interessierte sie im Moment wenig. Wichtig war in diesem Moment nur ihre Mutter, die dort draußen im Eingangsbereiches des Hauses – den Engländern schutzlos ausgeliefert – zurückgeblieben war.
Sie konnte die Schreie ihrer Mutter durch die geschlossene Tür hören. Als einer der Soldaten die Tür zu dem Zimmer öffnete, in welches sie eingesperrt worden war, blieb sie erst einmal für einen Moment reglos stehen und wartete bis die Rotröcke das Haus verlassen hatten. Dann lief Fiona so schnell sie konnte zur ihrer Mutter, die mitten in der Eingangshalle lag. Was sie sah, erschreckte sie zutiefst. Fast nackt, zerschunden und mit gelöstem Haar, welches ihr in das Gesicht fiel, lag ihre Mutter auf den kalten Steinfußboden der Eingangshalle. Fast überall an Catherines Körper waren Blutspuren zu sehen. Fiona standen die Tränen in den Augen. „Mama. Was haben sie dir nur angetan?“
Sie kniete sich neben Catherine auf den Boden und berührte sanft ihr Gesicht. Noch niemals zuvor hatte sie ihre Mutter so gesehen. Lautlos und verzweifelt, weinte diese vor sich hin. Ihr Haut fühlte sich eiskalt an.
Fiona ging rasch in das angrenzende Zimmer und holte aus der dort befindlichen eichenen Truhe eine Decke, in die sie ihre Mutter ganz vorsichtig einhüllte.
Draußen hörte sie das Hufgetrappel, der sich entfernenden Pferde. Die englischen Bastarde ritten davon. Fiona umarmte ihre Mutter, um ihr wenigstens etwas Trost zu spenden. Nachdem sie Catherine hier so liegen gesehen hatte, wusste sie sofort, was geschehen war: Ihr Mutter war vergewaltigt worden! Der Hass, den sie schon immer für die Engländer empfunden hatte, wurde dadurch ins Unermessliche gesteigert. Sie hoffte, dieser englische Captain würde dafür irgendwann in der Höllle schmoren. Zu dumm, dass sie nicht als Mann auf die Welt gekommen war, dann hätte sie ihn, für die ihrer Mutter angetane Schmach, zum Duell gefordert.
© Norina Becker (September 2008)

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