Kapitel 3: Geheimniskrämerei
Mai 2003 – Glenfinnan, Schottland
Die Wochen waren ins Land gegangen. Zwischenzeitlich war auch in diesem Teil Schottlands der Frühling eingekehrt. Duncan hatte es sich wieder angewöhnt – so wie er es auch in Paris getan hatte - einmal am Tag Joggen zu gehen. Zudem hatte er auch sein Schwerttraining wieder aufgenommen. Dies war gar nicht so einfach zu bewerkstelligen gewesen, da er hierfür einen Platz suchen musste, der für andere Personen nicht einsehbar war. Er hatte sich jedoch an ein kleines Fleckchen Erde an den westlichen Ufer des Loch Shiel erinnert, welches er schon als Kind im frühen 17. Jahrhundert aufgesucht hatte. Diese Stelle war nur sehr schwer und durch eine schmalen und fast völlig zugewachsenen Pfad zu erreichen. Sollte sich wider Erwarten doch jemand diesem Ort nähern, würde er es sofort hören und hätte noch genügend Zeit sein Schwert zu verstecken. Es war der ideale Platz für Duncan, um ungestört zu trainieren, allein zu sein oder einfach nur seinen Gedanken nach zuhängen, so wie es heute wieder einmal der Fall war. Derzeitig überlegte Mac, was er eigentlich machen sollte.
In den letzten Tagen und Wochen hatte er Rachel bei ihrer Arbeit im Inn unterstützt. Eigentlich war dies nicht notwendig gewesen. Doch da ihm Müßiggang auf Dauer fremd war, hatte er halt mit angepackt, wo immer es ihm erforderlich erschienen war. Noch immer hatte er Rachel nicht erzählt, was ihn hierher – zurück nach Schottland – gebracht hatte. Wenn sie abends beieinander saßen, hatte er sie mit Anekdoten aus seinem mehr als 400 Jahre währenden Leben unterhalten. Allerdings hatte er bisher kein Wort über die Geschehnisse in New York und seine damit zusammenhängende Anwesenheit in Schottland verloren. Er beschloss dies bei passender Gelegenheit nachzuholen. In diesem Moment fasste Mac zudem einen weiteren Entschluss.: Er würde sich hier in Schottland nach einer Bleibe umsehen. Vielleicht konnte ihm Rachel dies bezüglich ja behilflich sein. Durch ihre Arbeit im Gemeinderat von Glenfinnan hatte sie wahrscheinlich eher die Möglichkeit, etwas über zum Verkauf stehende Grundstücke in Erfahrung zu bringen. Er würde sie in jedem Falle fragen. Seinen Leihwagen hatte er inzwischen zurückgegeben. Anstelle des Cherokees hatte er sich einen Landrover zugelegt, der in diesem Landstrich von vielen Einheimischen genutzt wurde, und für die örtlichen Straßenverhältnisse doch besser geeignet war, denn schließlich gab es gerade in hier den Highlands eine Vielzahl an Single Road Tracks. Da er vor drei Wochen von Joe erfahren hatte, dass sich auch ein Käufer für das Hausboot gefunden hatte, stand einem möglichen Umzug in eigenes Heim noch weniger im Wege als vorher. Macs Gedankengänge wurde unterbrochen, als unerwartet Rachel bei ihm auftauchte.
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Ach hier bist du Duncan. Eigentlich hätte ich mir denken können, dass du dir irgendein lauschiges Plätzchen am Loch Shiel suchen würdest.“ meinte sie nur.
„In den letzten Wochen ist ja kaum ein Tag vergangen, an dem du dich nicht zurückgezogen hast.“
„Du wusstest von meinen Ausflügen?“ fragte Mac etwas erstaunt.
„Natürlich. Denkst du es ist mir verborgen geblieben, dass du dich von Zeit zu Zeit davon gestohlen hast? Nur wusste ich bis heute nicht, wohin du gegangen bist. Deshalb bin ich dir gefolgt. Ich wollte einfach feststellen, wo du dich aufhältst, wenn du deine Ruhe haben willst. Ich hoffe, du bist deswegen jetzt nicht sauer.“
„Nein, dass bin ich nicht“ antwortete ihr Mac und verfiel daraufhin wieder in Schweigen.
„Was ist los, Duncan? Irgendetwas ist doch? Nun rück schon raus mit der Sprache. Wo drückt der Schuh?“
„Setz dich doch bitte zu mir, Rachel“, sagte er und überlegte wie er weiter vorgehen und was er sagen sollte. „Seit langem bin dir ja schon eine Erklärung schuldig. Und ich denke, dass ich dir endlich die Gründe darlegen sollte, die dazu geführt haben, warum ich wieder nach Schottland gekommen bin.“
„Ich will dich nicht drängen, Duncan? Aber was...?“
Rachels Frage wurde durch Macs Einwand: „Ich werde es dir erzählen.“ unterbrochen. Und dann begann er seine Geschichte mit der Frage: „Erinnerst du dich möglicherweise an eine andere Legende, die im MacLeod-Clan von Glenfinnan von Generation zu Generation weitergegeben wurde?“
„Nein. Im Moment nicht. An das einzige woran ich mich in diesem Zusammenhang erinnere, sind die Geschichten die sich um deine Person rankten. Mag sein, dass es dan och etwas anderes gibt, doch dann fällt es mir jedenfalls nicht ein. Außerdem reichen die uns vorliegenden Aufzeichnungen nur bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts zurück. Alle anderen Unterlagen wurden bei einem Brand vernichtet und gingen somit unwiederbringlich verloren.“
„Es gab da tatsächlich noch etwas oder besser gesagt jemanden.“ sagte Mac. „Schon zu der Zeit als ich ein Kind war, erzählte man sich im Clan eine Geschichte, und zwar die des Connor MacLeod, der 1518 hier in Glenfinnan geboren und ihm Jahr 1536 in einer Schlacht gegen einen verfeindeten Clan, den der Frasers, durch das Schwert eines Mannes so schwer verletzt wurde, dass er wenig später an dieser Wunde gestorben ist. Connor war wie ich - ein Unsterblicher. Genau wie ich wurde er nach seiner Wiederauferstehung durch seinen Clan verbannt. Kaum einen Tag nach seiner Verbannung traf er auf Seamus MacDonald, der ihm auf seinem Grund und Boden eine neue Heimat gab und ihm auch die Kunst des Schmiedehandwerkes beibrachte. Connor lernte Seamus' Tochter Heather kennen und verliebte sich in sie. Die beiden haben sich nach ihrer Hochzeit im Jahr 1538 in der Nähe von Jedburgh niedergelassen und dort bis zum Jahr 1541 gelebt. Nachdem Connors erster Lehrer Ramirez durch den Kurgisen Kurgan getötet wurde, und das Haus durch die gewaltige Kraft des Quickenings in Schutt und Asche zerfiel, sind die beiden nach Glencoe gegangen. Dort haben sie dann bis zu Heathers Tod im Jahr 1590 gelebt. Connor hat sie in Glencoe begraben und ist dann aus Schottland fortgegangen.“
„Wieso sagst du „war“?“ wandte Rachel ein.
„Connor lebt nicht mehr. Er ist tot. Ich bin derjenige der ihn getötet hat. Ich wollte es nicht, und war doch gezwungen, es zu tun. Um das besser verstehen zu können, solltest du wissen, dass es da einen anderen Unsterblichen gab, der viel stärker war, als jeder Einzelne von uns. Niemand von uns hätte es geschafft, ihn alleine zu besiegen, dazu war er einfach zu stark und zu mächtig. Und da die Regeln sagen, dass nur ein Unsterblicher gegen einen Anderen antreten darf, standen wir vor einem großen Dilemma. Connor hat die Zeichen wohl eher erkannt, als ich. Ihm war es früher klar als mir, dass einer von uns beiden dem anderen den Kopf nehmen müsse, um gegen Kell eine reelle Chance zu haben. Ich wollte es wahrscheinlich einfach nur nicht wahrhaben. Verstehst du, Rachel? Ich war gezwungen meinen Freund und Bruder zu töten, und darüber komme ich einfach nicht hinweg.“ sagte Mac mit trauriger Stimme.
„Connor war derjenige der mir alles über das Leben eines Unsterblichen bei brachte. Bevor ich ihn getroffen hatte, wusste ich nicht, was mit mir geschehen war. Drei lange Jahre lebte ich Unkenntnis dessen, was ich war. Ich wusste nicht, warum ich noch am Leben war, und auch nicht, warum ich jedes Mal wenn ich getötet wurde, wieder erwachte. Erst als er mich im Jahr 1625 im Glen Fruin gefunden hatte, erfuhr ich, was mit mir los war. Connor war mein erster Lehrer und hat mir all das gezeigt, was für das Überleben als Unsterblicher wichtig war. Wir waren in der Folgezeit bis zum Jahr 1631 zusammen. Danach trennten sich unsere Wege. Allerdings meist nur für einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten. Mit gewisser Regelmäßigkeit liefen wir uns immer wieder über den Weg, so auch 1712 als ich meine erste Frau Kate kennen lernte, im Jahr 1872 als ich Little Deer, ein weiteren geliebten Menschen, zu Grabe getragen habe, und erneut im Jahr 1992. Danach verschwand Connor auf Nimmerwiedersehen. Ich habe ihn erst im vergangenen Jahr wiedergesehen.
Wie ich später erfahren habe, hatte er sich nach dem Tod seiner Adoptivtochter in eine Art Refugium zurückgezogen. Einen Zufluchtsort für uns Unsterbliche, welcher durch Jacob Kell jedoch zerstört wurde.
Connor war vollkommen verändert und sichtlich gealtert. Er hatte ganz offensichtlich keinen Lebenswillen mehr, nachdem man ihm seiner geliebten Rachel beraubt hatte. Er hat es mir aufgezwungen, ihm seinen Kopf zu nehmen, und dass durch einen Schwerthieb den er mir einst in Italien beigebracht hatte. Es fiel mir so unendlich schwer. Aber auch mir war inzwischen bewusst geworden, dass es keine andere Alternative gab. Wenn eine Möglichkeit gegeben war, einen Kampf mit Kell lebend zu überstehen, dann nur dadurch, dass einer von uns beiden den anderen tötete. Ich nahm mir Connors Kopf und erhielt durch die damit einhergehende Erneuerung seine Kraft und die Macht, die er im Laufe der vielen Jahrhunderte in sich vereint hatte. Dies war letztendlich auch der Grund dafür, dass ich Kell besiegen konnte. Nur durch die von Connor aufgenommene Essenz war es mir möglich, diesem Typen das Handwerk zu legen. Wir Unsterblichen sind nun mal dazu gezwungen nach unseren eigenen Regeln zu leben. ‚Töten oder getötet werden.’ lautet das Motto. Weil es am Ende nur Einen von uns geben kann.“
Für einen kurzen Moment verstummte Mac, bevor er nochmals zum Sprechen ansetzte.
„Durch Joe’s Hilfe ist es mir gelungen Connors sterbliche Überreste nach Glencoe zu bringen. Ich habe ihm damit seinen letzten Wunsch erfüllt, nämlich den, dass er nach seinem Tod neben Heather begraben werden wollte.“
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Rachel sagte zunächst einmal kein Wort. Zu sehr stand sie noch unter dem Einfluss des eben Gehörten. So wie sie das sah, traf Duncan keine Schuld an der ganzen Angelegenheit. Auch wenn er das im Moment nicht wahr haben wollte. Er war noch immer nicht bereit , die Tatsache zu akzeptieren, dass es für ihn keine andere Wahl gegeben hatte. Sie hätte ihm dies gern gesagt, wusste aber mit Sicherheit, dass Duncan derzeit für keinerlei logische Argumente zugänglich war. Um ihm Trost zu spenden und damit zu signalisieren, dass sie ihn verstand und ihm helfen würde, wo immer es auch erforderlich war, nahm sie einfach sein Hand und drückte diese fest.
Duncan wandte daraufhin den Kopf zur Seite und sah Rachel an. Erst in diesem Moment wurde ihm so richtig bewusst, dass er seit langer Zeit wieder vollkommen gelöst und sogar ein klein wenig glücklich war. Er genoss es ganz einfach, hier mit ihr allein am Ufer des Loch Shiel, seinem Lieblingsort, zu sitzen und über alle möglichen Dinge philosophieren zu können. An diese Platz hier ging er immer, wenn er Kummer hatte oder allein sein wollte. Dies war schon immer so gewesen. Selbst zu der Zeit, als er noch ein kleiner Junge gewesen war. Jetzt war Rachel bei ihm, und es erschien ihm gut und richtig so. Irgendwo in der Nähe sang ein Vogel, es roch nach feuchtem Sand und dem Wasser des Loch Shiel. Die Sonne schien und verbreitete einen wärmenden Glanz. Rein instinktiv verflocht er seine Finger mit den ihren. Das bemerkte er aber erst, als er sich des Ausdrucks in ihren Augen bewusst wurde. Es schien auf einmal so, als wäre die Welt um sie herum zum Stillstand gekommen und nur sie beide wären noch übrig. Hand in Hand dasitzend, sahen sie sich in die Augen und sagten kein Wort. Dies war auch nicht nötig, da beide das Gefühl hatten, den anderen auch ohne Worte zu verstehen.
Nur einen Moment später trafen sich ihre Lippen zu einem Kuss. Für einen winzigen Augenblick genoss Duncan das Gefühl, ihre Lippen auf den seinen zu spüren. Doch dann schreckte er zurück. Es schien zwar gut und richtig zu sein, dennoch sagte ihm sein Gefühl, dass es nicht rechtens war. Er kam sich so vor, als würde er Rachels Gutmütigkeit und ihr Vertrauen missbrauchen.
Ihm war schwindlig vor lauter Sehnsucht. Seiner Kehle entrang sich ein leises Stöhnen. Erneut presste er seine Lippen auf ihren Mund.
Er wusste, dass es nicht richtig war, aber er konnte Rachels Anziehungskraft einfach nicht widerstehen. Schon als ihre Hand die seine berührt hatte, war in ihm der Wunsch geweckt worden, dass sie fortfahren möge, ihn auf jede nur erdenkliche Weise zu berühren. Und als sich ihre Lippen zu einem Kuss trafen, schien es ihm so, als würde er vor Verlangen vergehen. Mit jeder Sekunde und Minute die vorrüberging, fiel es ihm schwerer sich von ihr zu lösen. Er wurde immer willenloser, und mit einem Mal wusste er, dass irgendwann die Zeit kommen würde, da sie beide das fortsetzen würden, was sie soeben begonnen hatten. Doch nicht jetzt und heute. Die Zeit war einfach noch nicht reif dafür.
Langsam löste Duncan seine Lippen von den ihren und schob Rachel sanft von sich.
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„Wow! Eins muss man dir lassen, Duncan, das Küssen hast du jedenfalls nicht verlernt. Du magst zwar etwas aus der Übung sein, aber du küsst immer noch so gut wie früher.“
„Es tut mir leid.“ kam es von Mac. „Ich weiß ehrlich gesagt nicht ,was über mich gekommen ist.“
„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Duncan. Ich habe es genauso gewollt wie du. Und ich habe es genossen. Wenn du ehrlich zu dir selbst bist, gestehst auch du es dir ein.“
„Du hast vollkommen Recht, Rachel. Es war schön. Beinahe zu schön. Ich hatte echt meine Probleme, mich von dir zu lösen. Aber ich weiß auch, dass dies weder der richtige Ort noch die richtige Zeitpunkt sind, um möglicherweise etwas anderes daraus entstehen zu lassen. Vor allen Dingen will ich dich nicht ausnutzen oder verletzen, dazu bist du mir einfach zu wichtig. „
„Lass es gut sein, Duncan. Ich habe dir eben etwas gesagt. Und ich habe es genauso gemeint. Und nun komm, lass uns zurück zum Inn gehen.“ sagte Rachel, stand auf und hielt Duncan ihre Hand entgegen. Dieser ergriff sie. Einander bei den Händen haltend, gingen sie zusammen den Weg zurück nach Glenfinnan.
© Norina Becker (Dezember 2007)

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